Die Freiheit der Wahl
Megatrend Individualisierung
Unser Experte Peter Wallner analysiert für Sie den Megatrend Individualisierung.
„Die Individualisierung der Gesellschaft stellt für die Wohnungsunternehmen eine erhebliche Herausforderung dar, denn diese denken sehr stark in Standardisierung. Dies zeigt sich in den hochstandardisierten Wohnprodukten der letzten Jahrzehnte, Aber auch in aktuellen Projekten zur Digitalisierung wird zumeist Standardisierung gesucht. Insoweit fordert die Individualisierung zu neuem Denken auf.“
Das Wichtigste zum Megatrend Individualisierung auf einen Blick
- Individualisierung bietet als kultureller Grundzug unserer Zeit vielfältige Chancen für Wohnungsbauunternehmen
- Neue Entwicklungen wie die wachsende Single-Gesellschaft, die Ausbildung von „New Tribes“ sowie das Outsourcing haushaltsnaher Dienstleistungen und die gleichzeitig individuelle Angebotserwartung durch Mieter bedingen neue Wohnraum- und Dienstleistungskonzepte im Quartier
- Die Multigrafien von Mietern und Personal erschweren die Vorhersagbarkeit des Mieterverhaltens und der Anforderungen an Wohnraum und Arbeitsplatz im Quartiersmanagement – dafür bedarf es der Neufokussierung auf Instrumente für eine flexible Planung
Individualisierung – wo liegen die Chancen für die Wohnungswirtschaft, den Megatrend gewinnbringend zu nutzen?
Es gibt wenige Megatrends, die uns allen so präsent sind wie die Individualisierung. Sie ist jederzeit und für jedermann spürbar. Das ist kein Zufall, denn die Individualisierung gehört sicherlich zu den wesentlichen kulturellen Grundzügen unserer Zeit. Im öffentlichen Diskurs ist diese oft negativ besetzt, wird mit Einsamkeit und fehlender sozialer Unterstützung gleichgesetzt. Aber aus Individualisierung entstehen natürlich auch Kräfte und Chancen. Wohnungsunternehmen sollten in diesem weiten Feld vor allem fünf wesentliche Aspekte fokussieren.
Individueller Wohnraum in Form von Einzelhaushalten
Bereits Teil der strategischen Überlegungen ist zumeist das Thema Nachfrage: Die Single-Gesellschaft braucht andere Wohnungstypen, als die klassischen Wohnungsbauten der Vergangenheit darstellten. Und da in großen Städten bereits 40% und mehr der Haushalte Singlehaushalte sind und dieser Trend sich noch weiter verstärkt, sind die entsprechenden Wohnungen eben kein Nischenprodukt, sondern stellen oft den Hauptbedarf dar.
Eine neue Gemeinschaftsform entsteht: Die Resonanzgesellschaft.
Unter dem Stichwort „New Tribes“ verbirgt sich die schlichte Tatsache, dass in der individualisierten Gesellschaft die Menschen keinesfalls stets auf sich allein gestellt bleiben. Der Erosion der traditionellen Vergemeinschaftungsformen (Familie, Nachbarschaft, Kollegenkreis) einerseits stehen neue gemeinschaftliche Muster entgegen. Diese sind allerdings nicht-exklusiv und auf Endlichkeit angelegt – damit erhöhen sich durchaus auch die Chancen auf Beteiligung. Insofern entstehen hier Möglichkeiten, in Nachbarschaften projektartig Beteiligung zu erlangen. Das ist allemal ein Pfund, mit dem die Quartiersarbeit wuchern kann.
Alltags-Outsourcing als Folge der zunehmenden Komplexität und Zeitknappheit.
Ebenfalls Chancen ergeben sich aus dem Phänomen des Alltags-Outsourcings. Die steigenden Flexibilisierungsanforderungen und die Vielzahl beruflicher wie privater Verpflichtungen führen zu einem Zuwachs an Komplexität und Zeitknappheit. Daher werden immer mehr Aufgaben des Alltags an Services outgesourct, die beispielsweise das Einkaufen, Kochen, Putzen oder Planen privater Events übernehmen.
Wo früher diese Dinge ganz selbstverständlich zu den Alltagspflichten und Rolleninhalten gehörten, wird in Zeiten der Individualisierung frei die Entscheidung getroffen, was an Dritte zur Erledigung übergeben wird.
Wohnungsunternehmen haben in den letzten 15 Jahren wenig ermutigende Rückmeldungen zu jeder Art haushaltsnaher Dienstleistung erhalten – hier dreht sich der Trend gerade merklich.
Individualisierte Massenproduktion
Schon vollends angekommen ist dagegen die Erwartung der Menschen nach dem, was die Soziologen „Mass Consumption“ nennen, nämlich Produkte und Dienstleistungen, die individuell zugeschnitten sind. Hier bieten sich in Zeiten der Digitalisierung Lösungen an, die dem Kunden das Gefühl geben, ganz individuell bedient zu werden und die gleichwohl hocheffizient über eine digitale Plattform laufen.
Wenn wir im Internet Bücher bestellen oder Kinokarten kaufen, werden uns – vermeintlich abgestimmt auf unseren Geschmack – weitere Produkte angeboten werden. Hier ergeben sich für Wohnungsunternehmen, die sich in den letzten Jahrzehnten das Thema Kundenorientierung auf die Fahne geschrieben haben, im Zuge der Industrie 4.0 ganz neue Möglichkeiten im Dienstleistungskontakt.
Lineare Biografien werden abgelöst von sprungweise verlaufenden Multigrafien
Die gravierendsten Auswirkungen allerdings erwarten wir von dem Phänomen der Multigrafie, womit im Kern gemeint ist, dass die Zeit der Biografien als planbare Abläufe von Lebensentwürfen vorbei ist. Hier stehen jetzt die Herausforderungen im Vordergrund, weil die Menschen, mit denen wir als Wohnungsunternehmen zu tun haben, seien es Kunden oder Mitarbeiter, sich nicht mehr so verhalten, wie das die Biografien ihrer Vorgänger über Jahrzehnte erwarten ließen.
Im Ergebnis wird die Fluktuation beim Personal wie im Bestand steigen – Wohnungsunternehmen werden lernen müssen, anders zu planen und andere Instrumente zu entwickeln.
Wie man sieht, ergeben sich aus der Individualisierung der Gesellschaft für Wohnungsunternehmen weit mehr gedankliche Ansatzpunkte als nur die Frage nach Wohnungen für Singles.
Bleiben Sie also neugierig.